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Internationale Konferenz „Klima und Wandel in Amazonien“

27. Februar 2008
Von Barbara Unmüßig
Von Barbara Unmüßig
Vorstand Heinrich-Böll-Stiftung

Der bedrohte Reichtum

Seit im Januar die aktuellen Abholzungszahlen für Amazonien veröffentlicht wurden, ist in Brasilien die Hölle los. Allein zwischen August und Dezember 2007 wurden mehr als 7.000 Quadratkilometer Regenwald abgeholzt. Dies entspricht einer Fläche achtmal so groß wie Berlin. Der starke Anstieg der Entwaldung ist ein schwerer Schlag vor allem für das brasilianische Umweltministerium. Noch bei der Klimakonferenz in Bali 2007 hatte sich die brasilianische Regierung triumphierend für den Rückgang der Entwaldung in den Jahren 2005 und 2006 feiern lassen.

Die neuen Zahlen haben in Brasilien entsprechende Turbulenzen in der Regierung und der Öffentlichkeit ausgelöst. Das Umweltministerium übt sich in Schadensbegrenzung und hat eine große Polizeiaktion gegen den illegalen Holzeinschlag gestartet. Im Visier der Ermittler sind unter anderem illegale Holzfäller und die Holzmafia, die für einen Großteil der aktuellen Abholzungszahlen in Amazonien verantwortlich sind.

Amazonaswälder als gigantische Kohlenstoffspeicher

Vor fast genau zwei Jahren habe ich Amazonien zum ersten Mal in meinem Leben besucht. Ich war überwältigt von seiner Schönheit und der schieren Größe der Landschaft. Der Blick von oben erfasst unendlichen Wald, gewaltige Wasserströme. Amazonien ist eine Region der Superlative, es ist das größte Flusseinzugsgebiet der Welt. Als Lebensraum für rund eine Million Tier- und Pflanzenarten ist der Amazonas eine Schatzkammer biologischer Vielfalt. Hinzu kommt seine Bedeutung als CO2-Speicher: Die Amazonas-Wälder binden 90 bis 140 Milliarden Tonnen Kohlenstoffdioxid. Das entspricht einer Menge, die innerhalb von 9 bis 14 Jahren durch menschliche Aktivitäten freigesetzt wird.

Beim Blick von oben schoss mir durch den Kopf: Können Menschen dieses Waldgebiet wirklich zerstören? Ja, sie können. Aus der Luft ist genau zu sehen, was Viehweiden, legaler und illegaler Holzeinschlag, Sojaanbau und Infrastrukturprojekte anrichten können. Rund 17 Prozent des brasilianischen Regenwaldes sind bereits unwiederbringlich zerstört, weitere 17 Prozent deutlich geschädigt.

Der Blick von oben sagt allerdings nichts aus über die sozialen und ökonomischen Bedingungen, nichts über Macht- und Besitzverhältnisse oder die Lebensverhältnisse der über 22 Millionen Menschen Amazoniens. Mehr als 160 indigene Völker leben im Amazonasgebiet. Der Betrachter von oben erkennt auch nicht, wer für die Zerstörung des Regenwaldes verantwortlich ist, wer sie vorantreibt. Amazonien ist keine homogene Region, sie ist in zahlreiche Ökosysteme und Klimazonen unterteilt. Ebenso heterogen ist seine Bevölkerung: Sie umfasst sehr unterschiedliche Kulturen und soziale Gruppen.

All diese komplexen politischen, ökonomischen und sozialen Zusammenhängen und Dynamiken der Entwaldung stehen im Mittelpunkt der dreitägigen internationalen Konferenz „Klima und Wandel in Amazonien“.

Amazonien kann nicht isoliert betrachtet werden: Das Amazonas-Gebiet ist verflochten mit weltwirtschaftlichen Prozessen und eingebettet in vielfältige internationale politische Konstellationen. Diese externen Einflüsse auf die Region mit allen dazu gehörigen Interventionsversuchen haben sich in den letzten 500 Jahren stetig verändert. Die unterschiedlichsten Interessen prallen hier aufeinander: Die einen wollen Amazoniens endgültige Transformation als letzte Agrargrenze Brasiliens durchsetzen. Das Agrobusiness forciert gewaltige neue Anbauflächen für Soja und träumt von neuen Vermarktungsmöglichkeiten durch translateinamerikanische Straßen vom Atlantik bis zum Pazifik. Für sie ist die Walderhaltung kein zentrales Anliegen der brasilianischen Entwicklungspolitik: Sie sehen den Wald als Barriere, die es wegzuräumen gilt. Klima- und Umweltschützer wiederum würden Amazonien – oft „die Lunge der Welt“ genannt – am liebsten unter Naturschutz stellen.

Angst vorm Ökoimperialismus

Es ist also kein Wunder, dass viele Brasilianer befürchten, die „Ausländer“ (Gringos) könnten Amazonien internationalisieren und die nationalen Souveränitätsrechte Brasiliens einschränken. Das böse Wort des Ökoimperialismus ist hier schnell zur Hand. Doch Amazonien ist ein unverrückbarer Teil Brasiliens. Alle Äußerungen in Richtung Internationalisierung Amazoniens sind absurde Überlegungen, die energisch zurück gewiesen werden müssen.

Diese widersprüchlichen Vorstellungen über die Zukunft Amazoniens spiegeln sich in den unterschiedlichen brasilianischen und internationalen Politikansätzen wider: Forcierte Integration in den Weltmarkt einerseits, Schutzprogramme für den Walderhalt andererseits. Fraglich ist, wie dieser Wettlauf ausgeht, vor allem mit Blick auf die drängende Frage des Klimaschutzes.

Die weltweite Vernichtung der letzten großen Waldgebiete – sei es im Kongobecken, auf Borneo oder in Amazonien – ist eine der großen ökologischen Herausforderungen unserer Zeit. Der dramatische Verlust der biologischen Vielfalt betrifft die gesamte Menschheit, die massive Entwaldung trägt erheblich zum Klimawandel bei. Deshalb liegt die Verantwortung bei uns allen, diese zerstörerischen Prozesse zu stoppen: Bei der internationalen Gemeinschaft, allen voran den Industrieländern, die unzweifelhaft die Hauptverantwortung für die vergangenen und gegenwärtigen globalen Treibhausgasemissionen tragen; aber auch bei Brasilien, das gerne und immer wieder seinen Anteil an den globalen CO2-Reduktionen durch die Entwaldung zu leugnen bzw. zu bagatellisieren versucht.

Regenwald wieder zurück auf internationaler Klimaagenda

Der Zeitpunkt für unsere Konferenz „Klima und Wandel in Amazonien“ ist sehr bewusst gewählt: Einerseits folgt sie auf die letzte Klimakonferenz in Bali, bei der erstmals das Thema Wald wieder auf die Tagesordnung gesetzt wurde. Andererseits greift sie Themen der Vertragsstaatenkonferenz zur Konvention über die biologische Vielfalt auf, die im Mai 2008 in Bonn stattfinden wird. Das Thema Wald wird dort einen breiten Raum in der politischen Debatte einnehmen.

Im Vordergrund der Amazonienkonferenz stehen die Wechselwirkungen von Abholzung und Klimawandel: Schwerpunkte sind dabei u. a. die Bedrohung Amazoniens durch den Klimawandel und Handlungsoptionen gerade auch auf internationaler Ebene. Ich bin froh, dass das Thema Waldzerstörung und der Erhalt der Wälder endlich zurück ist auf der Klimaagenda. Jahrelang war es auf unverantwortliche Weise vernachlässigt worden. Wälder sind gigantische Kohlenstoffspeicher: Ihre Abholzung setzt riesige Mengen an CO2 frei. Ihre Rodung und Umwandlung in landwirtschaftliche Nutzflächen verursachen insgesamt 20 bis 25 Prozent der weltweiten CO2-Emissionen.

Endlich wird anerkannt, dass eine kohärente Klimastrategie ohne einen Stopp des globalen Waldverlustes nicht realisierbar ist. Um gefährlichen Klimawandel zu vermeiden - das ist eine zentrale Botschaft der internationalen Klimawissenschaft - müssen wir die Erderwärmung bei zwei Grad Celsius stoppen. Hier sind vor allem die Industrieländer gefordert: Sie müssen ihre Emissionen bis zum Jahr 2020 um bis zu 40 Prozent reduzieren - und zwar auf der Basis von 1990.

Streitpunkt:  Waldschutz über globalen CO2 Markt finanzieren?

Immerhin wird nun auch die Rolle der Wälder in der Klimastrategie stärker berücksichtigt. Die Zauberworte heißen „vermiedene Entwaldung“ oder REDD = Reduktion der Emissionen aus Entwaldung und Walddegradation. Gleichzeitig bricht heftiger Streit darüber aus, wie das Ziel erreicht werden kann. Im Klartext: Über das Ziel, Entwaldung zu stoppen, herrscht große Einigkeit bei allen Klimaschützern: staatlichen wie nichtstaatlichen (NGOs, soziale Bewegungen, indigene Bevölkerungen). Umstritten sind die Instrumente: Zur Wahl stehen unterschiedliche Marktmodelle, staatlich finanzierte Waldfonds oder die Option „Abgaben und Steuern“.

Wie „vermiedene Entwaldung“ finanziert werden kann, führt zu hitzigen Debatten. Einige plädieren dafür, dass es für „vermiedene Entwaldung“ Zertifikate geben soll, die global auf dem Kohlenstoffmarkt gehandelt werden. Über die Handelserlöse stünde so Geld für Maßnahmen zum Schutz des Amazonaswaldes zur Verfügung. Andere befürchten, dass sich die Industrieländer von ihren eigenen drastischen Reduktionsverpflichtungen freikaufen könnten. Ein Szenario, das durchaus denkbar ist: Denn die oben erwähnten 40 Prozent CO2-Reduktionen, die die Industrieländer bis zum Jahr 2020 erbringen müssten, sind mit schmerzhaftem Umsteuern im Norden verknüpft. Freikauf wäre also eine Option, diese jeweils nationalen Reduktionspflichten zu umgehen.

Das eigentliche Problem besteht also darin, dass bei dem Modell mit den Zertifikaten zu wenige CO2-Emissionen global reduziert werden würden. Diesem Dilemma wäre nur zu entkommen, wenn die Reduktionspflichten der Industrieländer noch drastischer ausfielen. Das ist jedoch politisch unrealistisch. Das „2-Grad-Ziel“ wäre passé. Der globale Temperaturanstieg trifft aber gerade die Amazonaswälder besonders, darauf weist die Klimawissenschaft unaufhörlich hin.

Zweifellos braucht „vermiedene Entwaldung“ und Waldschutz finanzielle Mittel. Wie das am effizientesten und klimapolitisch sinnvollsten geschehen soll, darüber wird zu Recht diskutiert. Norwegen z.B. hat angekündigt, für die nächsten drei Jahre 500 Millionen Euro jährlich in einen Fonds zum Erhalt der Wälder einzuzahlen. Norwegen setzt also eher auf eine Fondslösung, denn auf den globalen Emissionshandel. Auch die EU-Kommission äußert Zweifel, ob die Einbeziehung der Wälder in den Emissionshandel überhaupt sinnvoll ist oder nicht andere Instrumente für den Waldschutz nötig wären.

„Umwege im Klimaschutz können wir uns nicht leisten“

Ich hoffe, dass die Amazonienkonferenz eine Konferenz des konstruktiven Streitens und Suchens nach den besten nationalen wie internationalen Lösungen und Handlungsoptionen sein wird. Wir müssen schnell handeln, wenn wir gefährlichen Klimawandel überhaupt noch vermeiden wollen. Umwege und Irrwege können wir uns nicht leisten.

Aber eines sollte klar sein: Internationalen Lösungsvorschläge müssen mit nationalen Initiativen abgestimmt sein und vor allem muss die Bevölkerung von Anfang an einbezogen sein. Zentrale Partner sind hier die sozialen Bewegungen in Brasilien und Amazonien. Allzu oft werden deren Mitsprache- und Entscheidungsrechte durch internationale Geldgeber und Investoren ignoriert, auch seitens der brasilianischen Regierung. Schlimmer noch: Viele Umweltschützer oder Menschenrechtsaktivisten, die sich gegen Enteignung und Abholzung der Regenwälder zu Wehr setzen, werden akut bedroht, u. a. von der brasilianischen Holzmafia.

Immerhin haben die Regierung, das Umweltministerium und die Bundesstaaten Brasiliens in den letzten Jahren große Anstrengungen unternommen, um weite Teile Amazoniens unter Schutz zustellen. Das ist – bei allen Negativtrends – eine sehr erfreuliche Entwicklung. Dies zu unterstützen liegt auch in der Verantwortung der internationalen Kooperation.

Verantwortung liegt auch bei den deutschen Verbrauchern

Die immense Verantwortung des reichen Nordens, seiner Investoren und Konsumentenklassen gilt es in noch ganz anderer Weise zu adressieren. Es sind die Staaten der EU, die das Fleisch von Rindern importieren, für deren Viehweiden Regenwald abgeholzt wurde. Es ist unsere Nachfrage, die Brasilien zum größten Fleischexporteur der Welt aufsteigen ließ. Es sind die reichen Länder dieser Welt, die das Tropenholz aus so genanntem selektivem Holzeinschlag beziehen. Es sind die internationalen Absatzmärkte, die die Sojaproduktion im Amazonasgebiet ankurbeln und weitere Entwaldung provozieren. Und – auch das wird diese Konferenz zeigen: Die massive Ausbreitung des Sojaanbaus trägt zur weiteren Verlagerung der Viehwirtschaft in die Amazonasregion bei.

Zuckerrohranbau für Agrotreibstoffe, auch wenn dies viele annehmen, ist bislang noch keine unmittelbare Bedrohung für den Regenwald, wohl aber eine mittelbare. Insofern haben Beimischungsquoten der EU für Agrotreibstoffe sehr wohl einen indirekten Effekt auf die Entwaldung in Amazonien.

Präsident Lula hat ein Bündnis mit dem Agrobusiness vereinbart. Es ist Grundlage seiner Politik der Modernisierung mit Rindern, Soja, Zuckerrohr und Hölzern. Wir, die reichen Industrieländer, profitieren kräftig davon.

Wirtschaftsinteressen und Waldschutz stehen oft im Widerspruch
 
Und hier bin ich zuletzt bei der Verantwortung Deutschlands angelangt. Auch hier sind die Interessen widersprüchlich. Deutschland importiert viele mineralische und agrarische Rohstoffe aus Amazonien, unter anderem Aluminium, Kupfer, Zink und Blei. Auch ist Deutschland wichtiger Abnehmer für Soja-Importe: 3,3 Millionen der insgesamt 6,8 Millionen Tonnen des importieren Sojas stammen aus Brasilien. Unser individueller Fleischkonsum und der gleichzeitige Wunsch, den Amazonienregenwald zu schützen, treten in offenen Widerspruch. Entsprechend gegensätzlich sind die politischen Strategien Deutschlands. Von Kohärenz kann keine Rede sein. So wie in Brasilien widerspricht auch in Deutschland der prinzipielle Wunsch nach Walderhalt kurzfristigen Interessen der deutschen Wirtschaft und manchem Konsumenten.

Ein zentrales Anliegen der Amazonienkonferenz ist es, sich Klarheit zu verschaffen über die Wechselwirkungen zwischen Klima, Biodiversität, Waldschutz, Energiepolitik und Wirtschaftsinteressen. Der Schutz des Amazonas und seiner Bevölkerung muss in all seinen Dynamiken und Dimensionen begriffen werden. Nur dann können interdisziplinäre Lösungsmodelle entwickelt werden, die weit über diese Konferenz hinaus reichen: zum Schutz des Amazonas, seiner Völker, seiner biologischen Vielfalt und des weltweiten Klimasystems.

Dossier

Biodiversität, Klima und Wandel in Amazonien

In diesem Dossier finden Sie Hintergrundinformationen zu Amazonien, die Dokumentation der Konferenz „Klima und Wandel in Amazonien“ und Informationen zu den in der Region geführten Debatten zu Klima, Wald und Biodiversität.

Barbara Unmüßig

Barbara Unmüßig ist Vorstand der Heinrich-Böll-Stiftung. Sie hat zahlreiche Zeitschriften- und Buchbeiträge zu Fragen der internationalen Finanz- und Handelsbeziehungen, der internationalen Umweltpolitik und der Geschlechterpolitik veröffentlicht.